Der Lohn des Retters
Ein Prinz ritt gern alleine durch den Wald, um die Stille zu genießen und königliche Gedanken zu denken.
Nun war das jedoch nicht ganz ungefährlich, denn es gab Bären und Wölfe und Räuber im Wald. Doch der Prinz war nicht nur klug, sondern auch mutig. Sei es nun, dass der Prinz vielleicht doch nicht so klug oder ein bisschen zu mutig war: eines Abends fiel er den Räubern in die Hände. Noch bevor er auch nur daran denken konnte, sein Schwert zu ziehen, hatten ihn die Räuber schon vom Pferd geworfen und gefesselt. Dann wurden ihm die Augen verbunden und man brachte ihn in das Räuberlager tief, tief im Wald.
So lag der Prinz nun gefesselt in einer Art Stall und sann über die Worte der Räuber nach. „Prinzlein, deine Juwelen, dein Schwert und dein Pferd sind eine willkommene Anzahlung. Doch dein Vater, der König, soll uns drei Truhen Gold aus seinem Schatz geben, um wieder in Liebe vereint mit seinem Söhnlein zu sein!“ Das Räuber hatte laut gelacht. „Und wenn er uns das Gold nicht geben will, bekommt er dich dennoch zurück, Stück für Stück. Ein prinzliches Ohr, eine Fingerlein…“
Wie man sich wohl denken kann, war dem Prinz bei diesen Worten nicht wohl zumute. Zumal, da er wusste, dass sein Vater, der König, nicht nur über die Ebbe in seiner Schatzkammer jammerte, sondern im Alter auch immer knauseriger wurde. Womöglich bedürfte es einiger prinzlicher Körperteile, bevor er bereit war, sich von so viel Geld zu trennen.
Der Prinz beklagte seinen Leichtsinn. Aber, wie es ja fast immer so ist, brachte das Klagen herzlich wenig.
Die Räuber zechten, feierten und grölten, alldieweil und feierten schon ihren kommenden Reichtum. Das Grölen und Feiern dauerte bis tief in die Nacht; dann wurde es still und nur das Schnarchen der betrunkenen Räuber tönte durch den Wald.
Doch der Prinz schlief nicht. Er zerrte an seinen Fesseln, jetzt hätte er vielleicht die Möglichkeit zu fliehen. Aber die Räuber verstanden etwas vom Knotenknüpfen und der Prinz zappelte vergebens.
Mit einem Mal hörte er ganz leise gedämpfte Schritte – und ein altes Männlein in einer braunen Kutte trat aus dem Wald. Der Prinz wollte rufen, doch die Räuber hatten ihm einen Knebel in dem Mund geschoben.
Der Alte trat jedoch geradewegs zum Prinzen, zog ein Messer und durchschnitt den Knebel und die Fesseln. Der Prinz sollte sich bedanken, doch der Alte legte nur den Finger auf die Lippen und bedeutete ihm, zu folgen.
Der Alte sprach kein Wort, sondern schritt schnell voran, viel schneller, als der Prinz es von einem so alten Mann erwartet hätte. Der Prinz begann sogar zu keuchen und zu schwitzen, da erreichten sie den Waldrand.
„Nun lieber Herr“, sprach der Alte. „ Hier solltet ihr sicher sein. Ich muss nun weiter meinen Weg gehen.“
„Aber halt, mein Retter!“, rief der Prinz. „Wer bist Du? Wie ist es Dir gelungen, mich zu befreien? Du solltest einen hohen Lohn empfangen, denn ich bin der erste Sohn des Königs!“
„Ach was“, sagte der Alte. „Ich bin nur ein einfacher Pilger. Ich habe gesehen, wie Euch die Räuber gefangen haben, ich folgte ihnen, schnitt Euch los und führte Euch aus dem Wald.“
„Du hast deinem zukünftigen König das Leben gerettet – wünsch Dir, was immer Du willst. Wenn es irgendwie in meiner Macht steht, werde ich deinen Wunsch erfüllen.“
Der Alte verbeugte sich und lächelte.
„Ach Prinz, ich habe keine Belohnung verdient, ich habe nur meine Pflicht erfüllt. Auch ich wurde einst aus großer Gefahr gerettet und mein Retter forderte nur eines: dass auch ich zehn Menschen in Not helfen würde und sie darum bitten würde, dass auch sie zehn Menschen helfen. So wird sich das Gute im Land verbreiten.
Der Prinz kniete vor dem Alten nieder, dankte ihm nochmals aus ganzem Herzen und versprach, das Gelübde zu erfüllen: Auch er würde zehn Menschen helfen und das Gelübde weitergeben. Dann bat er den Alten, ihm doch als Freund und Ratgeber auf das Schloss zu folgen. Aber der Alte schüttelte den Kopf. „Ihr seid erst der Siebte, dem ich helfen konnte. Ich muss also weiterziehen.“
Einige Jahre später wurde der Prinz König. Seine Untertanen nannten ihn „den Gütigen“. Das Land blühte auf und die Regentschaft ging als goldenes Zeitalter in die Geschichte ein, ein Zeitalter, in dem alle Menschen einander halfen!
(aus: Mit dem Herzen siehst Du mehr, A. Long, R. Schweppe, Lotos Verlag)
Unter all den vielen schönen Geschichten, die ich für diesen 4. Adventsbrief in vielen Büchern gelesen habe, war es die, die mir am passendsten erschien um den Zyklus der Briefe zu schließen, denn sie erinnert uns nochmals, worum es wirklich geht in unserer Welt. Und was würde besser zur Weihnachtszeit passen, immer und vor allem in diesem Jahr!
Und so schließt sich der Kreis mit meinem Wunsch für Dich:
Mögest Du glücklich und geborgen sein.
Mögest Du in Leichtigkeit leben.
Mögest Du friedvoll und gesund sein.
Möge Dein Herz weit geöffnet sein
für alle Wesen und für Dich selbst.