|

Der sorgenvolle Pilger

Ein Pilger hatte die Wüste durchquert. Es war eine lange Wanderung voller Strapazen gewesen und er war hungrig und durstig. Doch nun sah er am Horizont die Stadt, die sein Ziel war: Dort war der große Heilige begraben, dem zu Ehren er die Pilgerfahrt unternommen hatte. 

Der Pilger war kein armer Mann, doch er hatte vieles hinter sich gelassen, um den Heiligen zu ehren. Und glücklicherweise hatte er genug Geld; ja, einen ganzen Beutel voll Goldmünzen.

Als Erstes, dachte er sich, werde ich in ein bescheidenes Gasthaus einkehren und eine Mahlzeit zu mir nehmen – ich werde es nicht übertreiben. Eine kleine Suppe und einen Krug mit Wasser verdünnten Wein sind genug. Er freute sich schon sehr darauf. Es waren ja nur noch ein paar Meilen.

Nachdem er eine Weile weitergegangen war, überlegte er: Die Stadt lag am Rande der Wüste – und bestimmt wäre dort alles ein wenig teurer. Gut, dass er ausreichend Geld dabeihatte.

Eine Weile später kam ihm ein neuer Gedanke: Eigentlich könnte der Wirt selbst der übelsten Spelunke im einen ganzen Goldtaler für eine Krug Wasser abverlangen. Was könnte er dagegen tun? Er musste ja schließlich trinken. Und was, wenn man zwei Taler oder gar drei verlangte?
Nun ja, dann würde er wohl zahlen müssen.

Nun stand er schon beinahe vor dem offenen Stadttor und sah bereits das Schild eines Wirtshauses. Und seine Bedenken wurden immer größer: Vielleicht verlangte so ein schmieriger Wirt sein ganzes Gold für eine Mahlzeit und einen Krug Wasser! Die Menschen waren ja so gierig! Und er wäre vollkommen hilflos und müsste sich vielleicht sogar als Knecht verdingen, um leben zu können.

In ihm stieg die Wut auf. Mit rotem Gesicht trat er auf den Wirt zu, der gerade vor seinem Wirtshaus stand, hob den Finger und schrie: „Kennt ihr denn überhaupt keine Scham? Einen Beutel Gold für ein Glas Wasser? Dafür werdet ihr in der Hölle schmoren!“
(aus: Füttere den weißen Wolf, R. Schweppe und A. Long, Kösel Verlag)

Der arme Pilger! Er wollte doch eigentlich nur eine Kleinigkeit essen und trinken. Und jetzt? Am Rande eines Nervenzusammenbruchs!

Irgendwie kennen wir so etwas doch alle, oder? Heute mehr denn je. Gefüttert von Halbwissen, Unvollständigkeiten, Zitaten, die aus Zusammenhängen gerissen wurden bieten wir der Quasselstrippe das ideale Material, um uns immer mehr zu verunsichern. So erschaffen wir uns selbst manche Schwierigkeit und bemerken es nicht einmal. Die Energie folgt der Aufmerksamkeit und unsere Gefühle sind das Ergebnis unserer Perspektive. Auf der Basis unserer unbewussten Ängste, wachsen unsere Vorannahmen und  Vorurteile und beeinflussen unsere Reaktionen auf das, was ist.

Dabei ist das meiste, worüber wir uns den Kopf zerbrechen, reiner Unsinn- allerdings ist unser Ego wild entschlossen, uns von der ungeheuren Wichtigkeit und Richtigkeit unserer Gedanken zu überzeugen.

Indem wir grübeln, Ängste hegen und Sorgen pflegen, die Zweifel in uns ständig nähren, uns in Neid, Eifersucht oder Missgunst verlieren und über Problemen brüten, die wir nicht lösen können, vergiften wir unseren Geist. Marcus Aurelius schrieb dazu: Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab.“

Wer sich angewöhnt hat, sich ständig Sorgen zu machen, wird immer schlimmere Dinge erwarten, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgen und lähmen. Und selbst wenn diese Erwartungen so nie eintreten mögen, so führt dieses Denken zu anderen Dramen im Leben.

„Da, wo der Geist den Fokus kreiert, entsteht Realität.“ Diese Weisheit entspricht einem Naturgesetz und denen ist bekanntlich egal, ob wir daran glauben oder nicht.

Negativität verursacht einen permanenten Dauerstress, der unseren Körper und damit unsere Gesundheit auf eine Dauerprobe stellt. Sie belastet aber auch unseren Umgang mit anderen und sogar unser Selbstbild. Egal, ob wir durch Flucht oder Angriff versuchen, der Lage Herr zu werden, wie bleiben in der Opferrolle und laufen Gefahr, irgendwann genauso ver-rückt zu reagieren wie der Pilger. Irgendwann glauben wir dann wirklich, dass sich die ganze Welt gegen uns verschworen hat, immer alle Ampeln rot sind, wenn wir kommen, immer der Zug Verspätung hat, wenn wir mit der Bahn fahren, es immer regnet, wenn wir Fenster geputzt haben und alle Menschen aus dem Nachbardorf seltsam und bösartig sind, und und und….
Die Welt  wird zu einem heimtückischen, uns nicht wohlgesonnenen Ort, unser Körper schwächelt und das Leben ist nicht mehr lebenswert.

Aber, was kann man tun, um diese innere Quasselstrippe unter Kontrolle zu bekommen und negative Denkmuster zu durchbrechen?

Die folgende Methode ist eine Art mentale Diät. Um gelassen bleiben und besonnen reagieren zu können, ist es wichtig, dem inneren Kommentator eine regelmäßige Pause zu gönnen. Dinge passieren! Niemand zwingt uns, sie ständig zu interpretieren.

Hier Beispiele, wie Du die Hamsterräder des Denkens im Keim ersticken kannst:

  • „Kein Kommentar“ zu dem, wie etwas möglicherweise sein wird:
    Wenn Du in die Stadt fährst, denk nicht darüber nach, ob Du (k)einen Parkplatz bekommst, ob die S-Bahn überfüllt oder leer ist, ob Dein Lieblingswein im Supermarkt noch da oder vergriffen ist. Fahr in die Stadt und lass Dich überraschen.
  • „Kein Kommentar“ zu dem, was andere über Dich denken könnten
    Wenn der Nachbar Dich nicht grüßt, die Bäckerfrau Dich komisch ansiehst, der Kollege grimmig guckt, dann lass es einfach so sein. Grüble nicht, ob Du etwas Falsches gesagt hast, falsch angezogen bis, die Frisur nicht sitzt oder was andere über dich denken.
    Du wirst es sowieso nie erfahren! Spar Dir Interpretationen, Menschen sind manchmal so. Punkt!
  • „Kein Kommentar“ zu Deinen Körperempfindungen:
    Ob Du Kopfweh, einen verspannten Rücken oder eine laufende Nase hast. Ob Dein Bein kribbelt oder die Füße kalt sind, interpretiere auch da nichts hinein. Gehe im Geist nicht alle möglichen Kranksheitsbilder, Kindheitserinnerungen oder vermeintlichen genetischen Familiendispositionen durch und zieh keine voreiligen Schlüsse. Wenn es zu unangenehm wird, kannst Du immer noch zu einem Spezialisten Deines Vertrauens gehen. Ansonsten bleibe achtsam und bewusst. Die allermeisten „Symptome“ verschwinden auf genauso unverständliche Weise, wie sie gekommen sind und allzu oft hilft die Entspannung.
  • „Kein Kommentar“ zu negativen Emotionen:
    Wenn Du wütend bist, beobachte, wie es ist, wütend zu sein. Such nicht nach Verantwortlichen oder Schuldigen. Jeder Mensch ist mal wütend, traurig oder ängstlich – such nicht nach „tieferen Ursachen“, betreibe keine Psychoanalyse, sondern bleibe bei dem Gefühl und beobachte, wie es sich anfühlt – ohne es festzuhalten oder weghaben zu wollen. So vermeidest Du die Verstärkung und rutschst auch nicht in die Opferrolle!
  • „Kein Kommentar“ zu seltsamen Verhaltensweisen anderer Menschen:
    Wenn Dein gegenüber zu viel redet, oder zu wenig, wenn er/sie ständig auf das Handy starrt, einen komischen Hut trägt, zu spät kommt oder dauernd ein Füllwort benutzt, dann lass es so sein. Lass ihn oder sie so sein, wie er oder sie eben ist. Du musst nicht alles kommentieren oder bewerten. Beobachte neugierig (vor allem Dich selbst) und gib dem anderen so viel Raum wie möglich. Jeder Mensch ist einzigartig – und damit eben auch anders. Bleibe achtsam bei Deiner Erfahrung und gleichzeitig offen für neue Erfahrungen.

In Goethes Faust heißt es:

Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
dort wirket sie geheime Schmerzen,
unruhig wiegt sie sich und störet Luft und Ruh;
sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
als Feuer, Wasser, Dolch und Gift,
Du bebst vor allem, was nicht trifft,
und was Du nie verlierst, das musst Du stets beweinen.

Sparen wir uns die Sorgen und die Tränen!
Freuen wir uns an dem, was wir haben, auch und gerade in Zeiten wie diesen.
Wenn wir unsere Perspektive neu ausrichten, sehen wir viel Gutes und begegnen immer wieder ganz besonderen Menschen!

 

Ähnliche Beiträge